23.09.2024

Atheismus: ein Phänomen in der islamisch-arabischen Welt

A person looks down at the ground. On the ground are two arrows that are marked with "Islam" and "Atheism".
© ChatGPT/Communio Messianica

Hinweis: Communio Messianica vertritt nur ehemalige Muslime, die jetzt Christus folgen, auch Muslim Background Believers (MBBs) genannt. In diesem Artikel wirft Harun Ibrahim, Vorsitzender des obersten Councils von Communio Messianica, einen Blick auf eine andere Gruppe, die den Islam verlassen hat: Atheisten. Obwohl sich deren Ansichten stark von denen der MBBs unterscheiden, gibt es Ähnlichkeiten in der Situation beider Gruppen.


Der Atheismus hat in der arabischen Region eine heftige Debatte ausgelöst, insbesondere in den sozialen Medien, die in den letzten Jahren mehr Meinungsfreiheit ermöglicht haben. Da es in früheren Jahren als Tabu galt, darüber zu sprechen, kann die genaue Anzahl der Atheisten weltweit nicht genau ermittelt werden, obwohl es einzelnen religiösen Gruppen gelungen ist, die Zahlen zu schätzen.
 

Nach Angaben des ägyptischen Al-Fatwa-Instituts vom Januar 2014 gibt es in Ägypten etwa 900 Atheisten. Manche schätzen Tausende, andere bis zu zwei Millionen. Im selben Jahr berichteten saudische Medien über eine Studie der Wayne Gallup International Research Foundation, aus der hervorging, dass sich 5 % der Saudis als Atheisten bezeichnen. Bei einer Bevölkerung von 29 Millionen sind das knapp 1,5 Millionen. Es gibt eine wachsende Zahl von Erhebungen, die belegen, dass die Zahl der Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, in islamischen Ländern zunimmt.
 

Plattformen für Atheisten in den Medien der arabischen Welt
 

Arabische Atheisten nutzen Facebook, Twitter, YouTube und Blogs als Mittel zur Kommunikation untereinander. Diese Plattformen bieten den Nutzern mehrere Möglichkeiten, ihre Identität nicht preiszugeben, sollte jemand im sozialen Netzwerk nach dem Wort „Atheist“ auf Arabisch suchen. Bei Facebook und Twitter scheint es tausende von Seiten zu geben, die Atheisten aus der arabischen Welt gehören und viele Anhänger haben. 
 

Folgende Seiten auf Facebook fordern arabische Atheisten zum Beitritt auf:
 

- Tunesische Atheisten (30 000 Follower)

- Sudanesische Atheisten (zwei Seiten für dieselbe Gruppe mit 7000 Followern)

- Syrische Atheisten (15 000 Follower)

- Ägyptische Atheisten (mehr als 10 Seiten und eine Million Follower)

- Saudische Atheisten (mehrere Seiten mit mehr als einer Million Followern)
 

Al Muslim Electronic Newspaper geht davon aus, dass die saudischen und ägyptischen Atheisten am aktivsten sind und bestätigt, dass die Anzahl saudischer Atheisten um eine Million höher ist als die anderen.
 

Auf Twitter haben diejenigen, die sich zum Atheismus bekennen, Hunderttausende von Anhängern (z. B. folgen über 12 000 dem „Arabischen Atheisten“), und die Inhaber dieser Konten führen verschiedene Diskussionen über ihren Wunsch, den „Mythos der Religion mithilfe des Verstandes“ zu zerstören, während einige anti-islamische Kommentare und Bilder wie zerrissene Fotokopien des Korans und anti-islamische Grafiken posten.
 

Einige geben an, dass sie sich darauf konzentrieren, den Intellekt zu nutzen, um Wissen zu verbreiten, während andere sagen, dass ihre Tweets auf diejenigen abzielen, die darüber nachdenken, Atheisten zu werden. Es gibt auch solche, die sich selbst als „Atheisten und Ungläubige“ betrachten und Beiträge veröffentlichen, in denen sie zum Ausdruck bringen, dass die islamische Botschaft zur Gewalt gegen andere Religionen aufruft.
 

Auf YouTube haben einige arabische Atheisten zahlreiche Kanäle eingerichtet, die Tausende von Abonnenten aufweisen. In der Regel veröffentlichen Betreiber solcher Kanäle Videoclips, die sich gegen den Islam richten; einige tragen den Titel „Mythen der islamischen Religion“.  Einige arabische Jugendliche haben einen Internet-TV-Kanal mit dem Namen „Free Mind“ gegründet. Dieser säkulare Fernsehsender hat sich zum Ziel gesetzt, den Nationen im Nahen Osten und der Welt im Allgemeinen Nachrichten zu übermitteln, die frei von der vorherrschenden religiösen und staatlichen Zensur sind.
 

Außerdem stellen wir fest, dass die meisten Kritiker des Islam selbst einen islamischen Hintergrund haben. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Atheisten mit islamischem und Atheisten mit christlichem Hintergrund. Atheisten mit muslimischem Hintergrund greifen den Islam an, während Atheisten mit christlichem Hintergrund nicht Christus angreifen, sondern vielmehr die Existenz Gottes und das Verhalten der Kirche.

Warum geben manche Araber ihre Religion auf?
 

Einige der wichtigsten Gründe, die einige Araber dazu gebracht haben, den Islam aufzugeben, sind:
 

1.           Die Gewalt, die von radikalen islamischen Gruppen ausgeübt wird. Dies hat sie dazu veranlasst, die Grundsätze des Islam in Frage zu stellen.

2.           Das Leben Mohammeds und seine prophetische Biografie werden als Mittel zur Rechtfertigung von Mohammeds persönlichen Interessen angesehen.

3.           Das islamische Gedankengut ist unlogisch, z. B. behaupten muslimische Gelehrte, dass es im Koran Wunder gibt, die wissenschaftlich bewiesen werden können, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht.

4.           Die Entdeckung des wahren Gesichts des Islams, das von christlichen Islamkritikern in den Medien unterstützt wird, die sein wahres Wesen aufgedeckt und enthüllt haben.
 

Die ägyptische Dar-al-Ifta* hat bestätigt, dass der überzeugendste Grund, den Islam zugunsten des Atheismus zu verlassen, die gewalttätigen Praktiken von Terroristen und die Gewaltbereitschaft islamischer Gruppen wie beispielsweise der Takfiri-Gruppen, die im Namen des Islam brutal morden und die islamischen Lehren falsch darstellen. In Verbindung mit der Haltung von Al Azhar gegenüber ISIS ergibt sich ein düsteres Bild der Brutalität, das die islamische Jugend abstößt und sie dazu veranlasst, sich dem Atheismus zuzuwenden.
 

Säkular, atheistisch oder nicht-religiös?
 

In der arabischen Welt ist es schwierig, die folgenden Konzepte zu verstehen, da sie alle für verschiedene Bereiche der islamisch geprägten Gesellschaft inakzeptabel sind.
 

- Atheismus

- Säkularismus

- Nicht-religiös
 

Laut der Website der ägyptischen „Daily News“ unterteilt die ägyptische Dar-al-Ifta die Atheisten in drei Gruppen und definiert diese wie folgt:
 

1.           Diejenigen, die den Islam als Religion nicht ablehnen, aber den „Islam in der Gesetzgebung“ ablehnen und einen säkularen Staat fordern (z. B. der ägyptische Denker und Autor Sayyid M. al Qimni).

2.           Diejenigen, die den Islam als Religion völlig ablehnen.

3.           Diejenigen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind.
 

Dies ist sachlich nicht korrekt, und es ist wichtig, dass Journalisten sich der Unterschiede bewusst sind. Die breite islamische Öffentlichkeit betrachtet jedoch alle „atheistischen Gruppen“, wie sie oben definiert sind, als Ungläubige.

Verfolgungen und Anfeindungen:
 

Religionskritiker und mutige Befürworter des Atheismus sind in Gefahr, ihre Situation ist in gewisser Weise vergleichbar mit der Situation von Muslimen, die zum Christentum konvertiert sind.
 

Viele wurden in den meisten arabischen Ländern inhaftiert. In den Medien wurde berichtet, dass ein zwanzigjähriger saudischer Jugendlicher zum Tode verurteilt wurde, weil er ein Video veröffentlicht hatte, das ihn beim Zerreißen einer Kopie des Korans zeigte. Das Video wurde von Youtube entfernt.
 

Raif Badawi ist der Gründer einer Website namens Free Saudi Liberals, die online nicht mehr zu fidnen ist. Badawi wurde 2012 wegen „Beleidigung des Islam über elektronische Kanäle“ und weiterer Anklagepunkte, darunter Apostasie, verhaftet vor Gericht gestellt und zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Peitschenhieben verurteilt.
 

Im Jahr 2014 verurteilte das ägyptische Gericht einen Studenten namens Karim Ashraf Mohammed al-Banna zu drei Jahren Haft, weil er in Kommentaren auf Facebook die Religion respektlos behandelt und Aussagen rezitiert hatte, die eine Verachtung und Entehrung des göttlichen Wesens darstellen. Human Rights Watch bezeichnete seine Inhaftierung als Teil einer Regierungskampagne zur Bekämpfung von Atheismus und jeglicher Form von Opposition.
 

Im Januar 2015 ging der Ägypter Ahmed Hargan, der sich in einem Fernsehsender als Atheist geoutet hatte, zu einer Polizeistation in Alexandria, um eine Anzeige gegen mehrere Personen zu erstatten, die ihn und seine Frau wegen ihres Glaubens misshandelt hatten. Es gibt ähnliche Geschichten von arabischen Konvertiten, die diese Erfahrungen in mehreren arabischen Ländern gemacht haben.
 

Im Juni 2015 startete das ägyptische Jugendministerium gemeinsam mit der ägyptischen Al-Azhar-Stiftung eine Initiative zur Bekämpfung von Extremismus und Atheismus. In einer Presseerklärung teilte Scheich Ahmed Turki, einer der Initiatoren mit, dass das Ziel darin bestehe, die Jugend mit wissenschaftlichen Argumenten auszustatten, die sie dazu veranlassen, sich mit den Behauptungen der Atheisten auseinanderzusetzen. Weiter fügte er hinzu: „Atheismus ist eine Frage der nationalen Sicherheit... wenn sie (die Atheisten) gegen ihre Religion rebellieren, werden sie auch gegen alles andere rebellieren."
 

So ergeht es auch Konvertiten, die vom Islam zum Christentum konvertieren: Sie leiden oft unter schwerer Verfolgung. Obwohl Konvertiten harmlos sind und lediglich die Möglichkeit haben wollen, denjenigen zu verehren, an den sie glauben, wird daraus ein nationaler Fall von Sicherheit gemacht. Zusammenfassend lässt sich aus den obigen Informationen ableiten, dass das "Gesetz gegen Religionsverachtung" ein reiner Titel ist, der nichts mit dem Inhalt des Gesetzes zu tun hat. Es respektiert nicht alle Religionen, sondern ist ein Gesetz, das ausschließlich die islamische Religion begünstigt.

Andere Reaktionen:
 

Kürzlich hat die Frage des Atheismus eine Debatte in arabischen Fernsehsendern ausgelöst, und erstmals wurde eine Sendung ausgestrahlt, in der Atheisten mit religiösen muslimischen Männern zusammengebracht wurden. Als der Sender die Atheisten nach den Gründen für ihre Loslösung vom Islam befragte, nannten sie keinen Mangel an Glauben. Die religiösen muslimischen Männer erklärten sich dies entweder aufgrund persönlicher Gründe, psychologischer Probleme, jugendlicher Instabilität oder mentalen Krankheiten.
 

Weitere Debatten wurden in Programmen angeregt, in denen beide Parteien vertreten waren. In den ägyptischen Medien werden diese Bemühungen des Staates und der religiösen Einrichtungen manchmal als „Krieg gegen den Atheismus“ bezeichnet. Dies zeugt von einer Voreingenommenheit des Senders, der die islamische Sichtweise unterstützt.
 

Einige Fragen zum Nachdenken:
 

1.           Haben wir als Christen Organisationen, die in diesem Bereich und in den sozialen Netzwerken tätig sein können?

2.           Bieten die Inhalte, die wir derzeit senden und veröffentlichen, Lösungen für die Kernfragen der Menschen oder halten wir Predigten, die nur bei uns selbst ankommen?

3.           Können wir wirkungsvolle und praktische Lösungen anbieten? Sollten wir überdenken, was wir präsentieren?
 

Es ist erwähnenswert, dass viele Konvertiten, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, denselben Weg durchlaufen haben. Sie verließen den Islam und verbrachten eine Zeit des Zweifelns, bevor sie Christus, den Retter, fanden und ihr Leben verändert wurde.
 

Viele Säkularisten haben mir gesagt: „Ich bin kein Atheist, sondern ein nicht-religiöser Mensch. Ich habe eine Meinung über die Persönlichkeit Gottes und seine Existenz, und ich finde eine große Ähnlichkeit zwischen mir und vielen Konvertiten (MBBs). Wenn ich mit Konvertiten spreche, stelle ich fest, dass sie ein Gottesbild haben, wie ich es mir vorstelle“.
 

Obwohl mich diese Worte ermutigt haben, beunruhigten sie mich auch, denn wenn diese Person Gott nicht in den Christen und der Kirche sehen kann, dann wage ich zu fragen:

Wie kann die Kirche besser auf Atheisten und andere Menschen zugehen, die den Islam verlassen haben?
Harun Ibrahim

*Die ägyptische Dar al-Ifta ist eine staatliche, gemeinnützige Organisation, die Muslimen durch die Herausgabe von Fatwas (Rechtserlasse, die das islamische Recht erläutern) Rat und Orientierung bietet.